McGoliath contra McDavid

Pit Wuhrer, London

Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung, Berlin 18. Oktober 1996

Über Big Mac und Krebsrisiko: McDonald im langsten Prozefs der britischen Rechtsgeschichte

Nachtraglich ist nicht mehr feststellbar, welcher Teufel die Allmachtigen des US-Konzerns McDonald's damals geritten hat. Sicher ist nur: Demnächst werden die Manager der weltweit groten Frikadellen-Braterei drei Kreuze schlagen, mindestens, und hoffen, daß ihnen nie wieder so der Prozeß gemacht wird. Dabei haben die Londoner Strategen das Unternehmen ganz allein in die wohl größte Public-Relations-Blamage der Konzerngeschichte geritten.

Das Desaster begann Mitte der achtziger Jahre. Damals verteilte eine kleine Greenpeace-Gruppe vor Londoner McDonald's-Filialen Handzettel (Was ist faul bei McDonald's?), auf denen alle Vorwürfe gebundelt waren, die man sich denken kann. McDonald's fördere die Zerstorung des Regenwaldes, stand da, weil Weideland durch Abbrennen der Wälder gewonnen werde. McDonald's trage zum Hunger in der Dritten Welt bei, weil Getreide an Vieh, also für den Fleischkonsum, verfüttert werde. McDonald's sei auch schlecht bekömmlich, da fett-, salzund zuckerreiches Essen zu einem größeren Risiko an Herzkrankheiten, Krebs, Diabetes und anderen Leiden führe.

Nichts Neues also, und doch so erregend, daß die britischen McDonald's Manager Detektive ausschickten, um jene Leute dingfest zu machen, die hin und wieder ein paar dieser kleinen Handzettel vor den Filialen verteilten. Nach mühsamer Observierung (die Hamburger-Sherlock-Holmes mußten däfur gar selber Flughlätter verteilen) wurden fünf Namen ermittelt - und schon schwang die Firma die grofie Keule. Sie schickte die Rechtsabteilung los, die immer dann aktiv wird, wenn jemand glaubt, das -saubere- Unternehmen kritisieren zu durfen, und forderte eine Entschuldigung oder die schriftliche Versicherung, künftig keine der Behauptungen zu wiederholen. Andernfalls gäbe es eine Verleumdungsklage, die sich gewaschen habe.

Vom 45-Milliarden-Mark-UmsatzUnternehmen vor diese Alternative gestellt, unterschrieben drei der fünf Flughlattverteiler. Eine Verleumdungsklage ist eine heikle Angelegenheit in Britannien: Da muß der Beschuldigte seine Unschuld beweisen, und das gelingt angesichts dieser Beweislast und der notorisch konservauven englischen Richter nur selten. Doch zwei wollten partout nicht einsehen, daß pure Macht die Wahrheit besiegt: Helen Steel und Dave Morris verweigerten die Unterschrift.

Also legte das Unteruchmell los mld mietete sich den in Verleumdungsverfahren aulierst beschlagenen Rechtsanwalt Richard Rampton. In drei Wochen sei das Verfahren abgeschlossen, die horrenden Strafen verkundet, die Abschreckung mal wieder gclungen mit dieser Einschatzung lag Rampton anfangs auch gar nicht falsch. Richter Justice Bell entschied sich namlich in wichtigen Belangen gogen Steel und Morris und fur ein juryloses Verfahren. Die Materie sei zu kompliziert fur die Normalverbraucher, urteilte er in einem Vorentsclleid und ließ keine Geschworenen zu.

Doch Helen Steel (mal Gärtnerin, mal Pubgehilfin, jetzt arbeitslos) und Dave Morris (früher Postarbeiter, seit Jahren alleinerziehend und arbeitslos) knieten sich in die Materie; sie paukten Prozeßordnung, Verfahrensfragen und andere Finessen des britischen Rechtssystems, sie beschafften Zeugen, sicherten Beweise, gaben einen Teil ihres Lebens hin, aber nicht weg. Bald hatten sie eine respektable Liste an Experten (für Forstwirtschaft in Brasilien), Wissenschaftlern (für Ernahrungsfragen) und Gewerkschaftern zusammen; bald war auch klar, daß drei Wochen nie ausreichen würden. Und bald kam der Prozeß, der am 28. Juni 1994 begann, in die Presse - selbst konservative Journalisten hatten ihre Freude an dem so ungleichen Zweikampf zwischen McGoliath und den McDavids.

Und heute, über 270 Verhandlungstage und zwei Jahre spater, thront immer noch Justice Bell im holzgetäfelten Gerichtssaal 35 im Londoner Royal Courts of Justiee, sitzt immer noch Richard Rampton unter seiner Perücke, beugen sich immer noch die weniger fein gekleideten Helen Steel und Dave Morris über ihre Akten. Im Dezember 1995 wurde das Verfahren zum längsten Prozeß in der Geschichte der britischen Zivilrechtssprechung, im November 1996 wird es zum längsten britischen Gerichtsprozeß uberhaupt. Klar ist schon range: Die Behauptungen der McDonald's Kritiker sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern stimmen, so die Spezialisten, mit den Fakten überein: Das gilt fur den Zusammenhang von Fastfood und Krebsrisiko von McChicken und Müllbergen von Big Mac und Kinderverführung.


Back to Media Page

Press Index